70 Jahre Europa-Union Deutschland e.V

Vor 83 Jahren, am 24. März 1933, gehörte Ritzel zu jenen mutigen Abgeordneten, die sich im Reichstag in namentlicher Abstimmung gegen das Ermächtigungsgesetz entschieden, mit dem Hitler der Weimarer Demokratie den Todesstoß versetzte. Wie Heinrich Ritzel dem früheren Offenbacher Oberbürgermeister Wolfgang Reuter  erzählte, war die Krolloper, in der der Reichstag tagte, von SS-Leuten umstellt. Im Plenum und selbst in den Gängen wimmelte es von SA-Leuten. Sozialdemokratische Abgeordnete wurden bedroht und mussten um ihr Leben bangen. Ritzel fuhr mit seiner Reichsbahnkarte kreuz und quer durch Deutschland. Nach Michelstadt konnte er nicht zurückkehren. Wie seine Frau ihm am Telefon sagte, standen SA-Leute vor seinem Haus, um ihn festzunehmen zumal er dem Widerstandskreis um Wilhelm Leuschner und Julius Leber angehörte.
Mit dem Taxi bis zur Grenze und zu Fuß über die Grenze, gelang ihm im Juni 1933 die Flucht in das unter Völkerbundverwaltung stehende Saargebiet. Bis 1935 war Ritzel als Beamter des Völkerbunds in der Leitung der Saarpolizeiverwaltung tätig. Nach der Saarabstimmung im Januar 1935 flüchtete er zunächst nach Lothringen und emigrierte im Juni 1935 in die Schweiz, wo er in den nächsten Jahren als freier Schriftsteller lebte. Von 1939 - 1947 amtierte Ritzel als Generalsekretär der Europa-Union in Basel. Mit Otto Brunn, Wilhelm Hoegner, Joseph Wirth und dem saarländischen Schriftsteller Kindt-Kiefer gründete Ritzel im Schweizer Exil die Arbeitsgemeinschaft "Das Demokratische Deutschland". Ritzel nahm am Treffen der Föderalisten für ein geeintes Europa im September 1946 in Hertenstein (Kanton Luzern) teil. Das dort verabschiedete „Hertensteiner Programm“ wurde zum Gründungsdokument der Europa-Union. Da andere Deutsche, wegen der Reiseeinschränkung durch die Besatzungsmächte, nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnten, gelang es Heinrich Ritzel mit deutschen  „Europäern“ wie Wilhelm Heile und Wilhelm Hermes Kontakt aufzunehmen und die Zusammenführung der wichtigsten örtlichen Europa-Gruppen zu organisieren.
 Am 9. Dezember1946 führte der Zusammenschluss zur Gründung der „Europa-Union Deutschland“, diesen Namen hatte Heinrich Ritzel, der als Gast an der Versammlung teilnahm,  in Anlehnung an die Schweizer Europa-Union vorgeschlagen. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1947 war Heinrich Ritzel ab 1949 Generalsekretär der Europa-Union. Von 1949 bis 1965 gehörte er als Abgeordneter des damaligen Wahlkreises Dieburg dem Deutschen Bundestag an. Als „ Europäer der ersten Stunde“ war er 1949 Mitglied der ersten Delegation der Bundesrepublik im Straßburger Europarat. Aus Enttäuschung über die Arbeit des Europarates lehnte er 1957 seine Wiederwahl demonstrativ ab.
An sein Wirken in Michelstadt und Gießen erinnern Straßennamen in Michelstadt, Erbach  und Gießen, außerdem wurden ihm vielfältige Ehrungen zuteil: Ehrenbürger von Michelstadt und Groß-Umstadt (1946 )
Ehrensenator des Weizmann-Instituts in Rehovot (Israel, 1962 ), Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (1963 ), Wilhelm-Leuschner-Plakette ( 1968 ) und Freiherr-vom-Stein-Plakette (1963 ).

Die Gründung der Europa- Union Deutschland vor 70 Jahren, ist ein Anlass an das Leben und Wirken des vor 123 Jahren in Offenbach geborenen Heinrich Ritzel zu erinnern, den „Geburtshelfer“ der Europa-Union Deutschland, den großen Europäer und mutigen Demokraten.

Quellen:
www.europa-union.de/ueber-uns/geschichte/, Absatz: Europäischer Neubeginn in Deutschland
de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Ritzel
www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_r/ritzel-he.htm, mit Foto
www.deutsche-biographie.de/pnd116574461.html
sowie persönliche Erinnerungen